Pour le piano

Entstehung

Die Entstehung von Pour le piano (deutsch: "Für das Klavier") ist nicht genau datierbar. Sicher ist nur, dass die Sätze nicht zusammenhängend komponiert wurden, sondern nachträglich zusammengestellt wurden. Der zweite Satz, Sarabande, stammt vom Winter 1894 und wurde 1896 in einer Beilage zum Grand Journal unter dem Titel Souvenir de Louvre veröffentlicht. Er war der Mittelsatz eines dreisätzigen Werks, das Debussy Yvonne Lerolle, der Tochter seines Freundes Henry Lerolle, widmete, aber dann für nicht gut genug befand, um veröffentlicht zu werden. Erst 1977 wurden die drei Stücke, die ursprünglich als Images betitelt waren, als Images oubliées veröffentlicht.

Die endgültige Niederschrift von Pour le piano ist mit Januar - April 1901 datiert. Pour le piano erschien Ende 1901 bei Fromont. Die Uraufführung fand am 11. Januar 1902 im Salle Érard in Paris durch den katalanischen Pianisten Ricardo Viñes statt. Bei dieser Uraufführung waren die drei Stücke ein großer Erfolg; die Toccata musste sogar wiederholt werden. Auch die Kritiken waren außerordentlich gut.

Neuerung und Tradition

Pour le piano wird oft als Übergangswerk oder auch als erstes Reifewerk Debussys bezeichnet. Das liegt darin begründet, dass sich Debussy in Pour le piano endgültig vom spätromantischen Stil und Salonstil seiner Frühwerke mit ihrer erweiterten funktionalen Harmonik löst und zum ersten Mal konsequent die neuen harmonischen Mittel anwendet, die typisch für seine musikalische Sprache werden würden. Hierzu gehören Ganztonleiterbereiche, Akkordrückungen, Mixturklänge, kirchentonale Modi, Quartschichtungen, Pentatonik und die Verwendung von Akkorden unabhängig von ihrer harmonischen Funktion. Außerdem sind gegenüber den frühen Werken die pianistischen Anforderungen beträchtlich gestiegen.

Dagegen verweist die Betitelung der drei Stücke noch immer auf die frühen Klavierwerke, in denen Debussy ebenfalls formale Bezeichnungen oder Gattungsbegriffe als Titel gewählt hatte. Genauso wie in der Suite bergamasque stammen diese bei Pour le piano aus der barocken Suite. Dieser Rückgriff geschah durchaus bewusst als Reverenz auf die von Debussy sehr verehrten barocken Meister wie Rameau oder Couperin. Somit bieten die drei Stücke von Pour le piano eine reizvolle Mischung aus modernen harmonischen Mitteln im Gewand der Motorik und des Charakters der barocken Klaviermusik.

Prélude

Im Prélude kann man eine dreiteilige Form nach dem Muster ABA' mit angehängter Coda inklusive Kadenz (Cadenza) erkennen:

Teil Takte Besonderheiten
A Takt 1-56 Vorstellung der beiden Themen, in sich dreiteilig
B Takt 57-96 durchlaufende Trillerfigur, Vorkommen beider Themen
A' Takt 97-133 Reprise von Teil A, am Schluss erweitert
Coda Takt 134-163 Rückgriff auf den B-Teil, angehängte Cadenza

Das Prélude beginnt mit dem ersten von zwei Themen, im Grunde nur ein zweitaktiges, rhythmisch prägnantes Motiv, das in der Unterstimme liegt und von Dreiklangsbrechungen in der rechten Hand ergänzt wird. Das Motiv wird sofort wiederholt, dabei variiert und um einen Fortspinnungstakt verlängert, so dass das Thema insgesamt auf eine Gesamtlänge von fünf Takten kommt.

Notenbeispiel 1: Prélude, 1. Thema, Takte 1 bis 2
Prélude Takt 1-2

Rhythmisch betrachtet besteht das 1. Thema bis auf die Auftaktviertel ausschließlich aus Achtelnoten, die alle akzentuiert zu spielen sind. Melodisch sind die Tonrepetitionen charakteristisch. Harmonisch wird das Thema von in der Art von realen Mixturen parallel verschobenen Dreiklängen begleitet. Diese sind im ersten Takt a-Moll und im zweiten Takt g-Moll. Der gis-Moll-Dreiklang am Ende des zweiten Taktes führt als chromatischer Durchgang wieder nach a-Moll zurück. Ab dem 3. Schlag von Takt 4 gehen die Molldreiklänge in übermäßige Dreiklänge über, die auf das zweite Erscheinen dieses Themas in Takt 43 ff. vorausweisen, das dann bis auf den C-Dur-Dreiklang zu Beginn komplett ganztönig ist:

Notenbeispiel 2: Prélude, 1. Thema, Takte 43 bis 46
Prélude Takt 43-46

Das 2. Thema beginnt auf dem aeloischen Modus auf a und entwickelt sich im Verlauf mehr und mehr in Richtung Chromatik. Es ist ein Fortspinnungsthema, das sich über 18 Takte erstreckt, also mehr als dreimal so lang ist wie das 1. Thema. Es ist allerdings auch nicht ganz so charakteristisch, da es sich hauptsächlich in Viertelnoten schrittweise auf- und abwärts bewegt. Die Faktur der Melodie als unterster Stimme mit gebrochenen Begleitakkorde in Sechzehntelnoten in höherer Lage, die schon das 1. Thema bestimmt hat, wird hier beibehalten.

Notenbeispiel 3: Prélude, 2. Thema, Takte 6 bis 9
Prélude Takt 6-9

Im B-Teil ab Takt 57 werden sowohl das 1. als auch das 2. Thema verarbeitet, das 1. Thema in einer chromatischen Variante, das 2. Thema als Ganztonvariante. Das 1. Thema findet sich außerdem als triolischer Einwurf in Takt 79, 81-82, und in einer weiteren Variation ab Takt 87 wieder. Auch in der Coda kommen beide Themen vor.

Das Prélude erinnert in seiner musikalischen Gestaltung sehr an die javanische Gamelanmusik - ein in vielen Klavierwerken Debussys wiederkehrendes Element, das sich im gleichzeitigen Ablaufen verschiedener unterschiedlicher Ebenen manifestiert. Dabei ist die tiefste Stimme orgelpunktartig ausgestaltet. Die darüber liegenden Stimmen besitzen unterschiedlich schnelle rhythmische Verläufe.

Sarabande

Die Sarabande

Die Sarabande ist ein aus Spanien stammender Tanz, der in der Instrumentalmusik des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts Eingang in die Suitenform fand. Dort wurde die Sarabande als gravitätischer Tanz im langsamen 3/2-Takt verwendet. Dementsprechend schreibt Debussy der Sarabande die Vortragsbezeichnung "Avec une élégance grave et lente" (mit langesamer und ernster Eleganz) vor. Charakteristisch für die Sarabande in rhythmischer Hinsicht ist die Betonung der zweiten Zählzeit im Dreiertakt.

Harmonisch erreicht Debussy den archaischen Charakter der Sarabande durch die Verwendung modaler Skalen. Die Vorzeichnung mit vier Kreuzen, das Ende des A-Teils auf dem Ton cis und der cis-Moll-Schlussakkord deuten auf die Grundtonart cis-Moll hin, es wird jedoch im ganzen Stück nicht einmal der Leitton his oder ein Gis-Dur-Akkord mit dominantischer Wirkung gespielt. Somit ist hier die modale Skala aeolisch auf cis mit den Tönen cis, dis, e, fis, gis, a ,h, cis bestimmend.

Doch dieser modale Charakter wird immer wieder durch die folgenden harmonischen Mittel erweitert:

  • Folgen von parallel verschobenen Akkorden (oft Septakkorde), tonale Mixturen
  • plötzliche, funktionsharmonisch losgelöste Duraufhellungen, bzw. Molleintrübungen
  • Quartenklänge, die auch mit Sekunden vermischt werden,
  • fernöstlich klingende Quintklänge.

Die Sarabande besitzt die dreiteilige Liedform ABA' mit angehängter Coda.

Teil Takte Länge des Formteils
A Takt 1-22 22 Takte
B Takt 23-41 19 Takte
A' Takt 42-66 25 Takte
Coda Takt 67-72 6 Takte

Folgendes ist bei der formalen Gestaltung auffallend:

  • Alle drei Formteile sind ungefähr gleich lang, wodurch die Form ausgewogen ist.
  • Der A-Teil ist wie die Großform dreiteilig nach dem Schema ABA' (A Takt 1-8, B Takt 9-14, A' Takt 15-22).
  • Die Wiederaufnahme des A-Teils, die bei Debussy meist verkürzt ist, umfasst drei Takte mehr als der A-Teil.
  • Die sechstaktige Coda nimmt das thematische Material des B-Teils wieder auf.

Den A-Teil bestimmen zwei thematische Gebilde: zum einen das die Sarabande eröffnende, viertaktige Hauptthema,...

Notenbeispiel 4: Sarabande, Takte 1 bis 4
Sarabande Takt 1-4

...dessen Fortspinnung ab Takt 5 aus dem Rhythmus des 3. und 4. Takts des Hauptthemas hergeleitet wird.

Notenbeispiel 5: Sarabande, Vergleich Takt 3-4 und 5-6
Sarabande, Vergleich Takt 3-4 und 5-6

Mit dem kurzen Motiv aus zwei Sechzehnteln und einer Achtel aus Takt 5 beginnt auch der zweite, in Grunde nur eintaktige thematische Gedanke.

Notenbeispiel 6: Sarabande, Takte 9 und 10
Sarabande, Takte 9 und 10

Toccata

Die Toccata

Eine Toccata ist ein Instrumentalstück, das seinen Namen von italienisch "toccare" (= anfassen, berühren) bezieht. Toccaten wurden ursprünglich hauptsächlich für Tasteninstrumente geschrieben und besitzen ein starkes motorisches Element, das sich oft in kurzen Notenwerten und schnellen Figurationen, aber auch in vollgriffigen akkordischen Passagen zeigt. Formal ist die Toccata frei. Im Barock wurde die Toccata oft als einleitendes Stück zu einer nachfolgenden Fuge verwendet.

Debussy verwendet die Toccata hier allerdings nicht als einleitendes Stück, sondern als virtuoses Finale, das wie beim barocken Vorbild von durchlaufenden Sechzehntelfiguren geprägt wird, gefolgt von einem kurzen, aber wirkungsvollen akkordischen Schluss. Dieser Schluss im dreifachen Fortissimo mit dem insgesamt sieben Mal wiederholten Cis-Dur-Akkord bildet den imposanten Abschluss des dreisätzigen Werks, ist in seiner konkreten Ausgestaltung für Debussy aber ungewöhnlich.

Die Toccata ist dasjenige der drei Stücke von Pour le piano, bei dem die Scharnierstellung zwischen Debussys frühem und späten Klavierstil am deutlichsten zu bemerken ist. So folgt auf das einstimmig vorgetragene Hauptthema in cis-Moll ein harmonisch durch kadenzielle Verläufe recht konventionell gestalteter Teil (Takt 9 bis 20), dem ab Takt 26 ein Teil folgt, bei dem die Akkordfolge durch die Kombination tonal weit entfernter Tonarten (z.B. Des-Dur und A-Dur (Takt 26-27), Es-Dur und H-Dur (Takt 28)) eine neuartige Farbigkeit erhält. Einige Passagen weisen schon auf die Images Band I hin, wie die ausgedehnten Läufe ab Takt 50, oder die unerwarteten harmonischen Ausweichungen in andere Tonarten, wie in Takt 70 der plötzliche Wechsel in die C-Dur-Tonalität.

Das Hauptthema selbst steht in der Grundtonart des Satzes, cis-Moll und wird beim ersten Auftreten zu Beginn des Satzes einstimmig im piano vorgetragen.

Notenbeispiel 7: Toccata, Hauptthema Takt 1-8, Notation ohne die Verteilung auf die beiden Hände
Toccata Takt 1-8

Das Thema erscheint insgesamt vier Mal, das zweite Mal in Takt 62 in einer lauteren und vollgriffigeren Variante, und das dritte Mal in Takt 198 und das vierte Mal in Takt 228 jeweils in der gleichnamigen Durtonart, also in Cis-Dur.

Wie bei vielen virtuosen Werken Debussys stellt sich auch bei der Toccata die Frage nach dem intendierten Tempo. Debussy schrieb "vif", also "lebhaft" als Tempoangabe über die Noten. Viele Pianisten scheinen das Stück allerdings eher mit der Tempoangabe "presto" im Hinterkopf zu spielen, also mit maximal möglicher Schnelligkeit, wodurch viele harmonische und melodische Nuancen im Klangrausch untergehen. Es existiert von Debussy selbst leider keine Aufnahme von Pour le piano, doch darf man davon ausgehen, dass er die Farbigkeit gegenüber der Schnelligkeit auf jeden Fall bevorzugt hätte.

Kontakt

  © 2023 by Jochen Scheytt

Die deutschen Debussy-Seiten sind der umfangreichste Überblick über Debussys Leben und Schaffen in deutscher Sprache im Internet.

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.