Deux Arabesques

Inhalt

1. Wann sind die Deux Arabesques entstanden?
2. Welche Tonsprache verwendet Debussy?
3. Was ist eine Arabeske?
4. Wie ist der Beginn der ersten Arabesque gestaltet?
5. Wie werden A-Teil und B-Teil miteinander verknüpft?
6. Wie ist die zweite Arabesque musikalisch gestaltet?
7. Wie verknüpft Debussy die beiden Arabesquen miteinander?

1. Wann sind die Deux Arabesques entstanden?

Die Deux Arabesques gehören zu den frühen Klavierstücken Debussys. Über die genaue Enstehungszeit gibt es unterschiedliche Informationen. Vallas und Fischer-Dieskau datieren die Arabesques auf das Jahr 1888, wohingegen Kabisch (MGG) und das Centre de Documentation Claude Debussy die Jahre 1890-91 anführen. Einig sind sich die Quellen bei der Veröffentlichung 1891. Die Uraufführung der zweiten Arabesque fand wohl 1894 statt, von der ersten ist keine Uraufführung bekannt.

2. Welche Tonsprache verwendet Debussy?

Von den frühen Werken sind die Deux Arabesques am bekanntesten. Vor allem die erste der beiden Arabesquen dürfte Klavierschülern ein Begriff sein. Technisch nicht allzu schwer und gleichzeitig sehr wirkungvoll und charmant, ist sie ein beliebtes Klavierstück.

Die Deux Arabesques zeigen schon allererste Ansätze von Debussys eigener Tonsprache, die er dann im Lauf der Jahre entwickeln sollte. Traditionellen Elementen wie der ABA'-Form, der Verhaftung in der Tonalität (Erste Arabesque: E-Dur, zweite Arabesque: G-Dur), klassischen Vortragsbezeichnungen (Erste Arabesque: Andantino con moto, zweite Arabesque: Allegretto scherzando) und traditionellen Kompositionstechniken (romantisch geprägte Arpeggien in der ersten Arabesque, barocke Spielfiguren und fugato-Teil in der zweiten) stehen schon vereinzelt in die Zukunft weisende Elemente gegenüber. Dazu zählen die parallele Verschiebung von Akkorden, die plötzliche Ausweichung in andere Tonartenbereiche, verbunden mit einer anderen Klangfarbe, die Dreischichtigkeit und die innere Zusammenhänge stiftende einheitliche rhythmische Basis. Insgesamt überwiegen die traditionellen Anteile gegenüber den neuen Elementen, wobei die neuen den Arabesquen ihren speziellen Charme verleihen.

3. Was ist eine Arabeske?

Eine Arabeske ist ein Ornament, beziehungsweise ein Verzierung, die ihren Ursprung in der islamischen Kunst hat. Als Motive werden dabei Ranken und Blätter gewählt. In der Musik wird der Begriff in der Romantik ab und zu als Titel eines Charakterstücks eingesetzt. Als Charakterstücke bezeichnet man instrumentale Musikstücke, die eine freie, nicht festgelegte Form besitzen und nach ihrem Charakter, und nicht nach einem bestimmten Formmodell, wie zum Beispiel "Sonate" benannt werden. Ein Beispiel aus der Musikgeschichte ist die 1838/39 entstandene Arabeske op. 18 Robert Schumanns für Klavier solo.

Auf die Musik Debussys übertragen stellt der Titel Arabeske eine bildliche Assoziation zu den verschlungenen Linien des Ornaments her. Dabei wird auch die Leichtigkeit, die den arabesken Ornamenten innewohnt, in Form eines durchsichtigen Klaviersatzes und eher zarter Dynamik musikalisch ausgedrückt. Dies ist auch bei den beiden Debussyschen Arabesquen zu beobachten. Während bei der ersten Arabesque die Linien eher ausladend und verschlungen sind, bestimmt bei der zweiten Arabesque ein kleines Triolenmotiv quasi als Miniaturornament das Geschehen.

4. Wie ist der Beginn der ersten Arabesque gestaltet?

Die erste Arabesque besitzt die Form ABA'. A: Takt 1-38, B: Takt 39-70, A': Takt 71-Ende. Sie beginnt einstimmig mit einem über beide Hände verteilten girlandenähnlichen Motiv. Rein harmonisch betrachtet handelt es sich dabei um vier parallel absteigende Dreiklänge: A-Dur, gis-Moll, fis-Moll und E-Dur, jeweils in der ersten Umkehrung.

Notenbeispiel 1: Erste Arabesque: harmonischer Verlauf der Takte 1-2
Erste Arabesque, harmonischer Verlauf der Takte 1-2

Dieses Verfahren weist schon auf Debussys spätere Kompositionstechnik der parallel verschobenen Akkorde hin, allerdings mit einem wichtigen Unterschied. Rückt er später nur Akkorde der exakt gleichen Struktur, so sind die Akkorde bei der ersten Arabesque noch in der Tonart E-Dur verhaftet. So erklärt sich auch der Wechsel zwischen Dur- und Mollakkorden. Diese Akkorde sind nun gebrochen, abwechselnd von unten nach oben und umgekehrt. Die reine Dreiklangsbrechung in Achteltriolen würde so aussehen:

Notenbeispiel 2: Erste Arabesque: Takte 1-2 als Akkordbrechungen
Erste Arabesque: Takte 1-2 als Akkordbrechungen

Debussy ersetzt nun bei der Bewegungsumkehrung oben die letzte Note des aufsteigenden Dreiklangs durch eine Durchgangsnote, die einen weicheren und runderen Übergang bewirkt und somit einer Girlande oder Ranke viel mehr entspricht.

Notenbeispiel 3: Erste Arabesque: Takte 1-2 rechte Hand
Erste Arabesque: Takte 1-2 rechte Hand

Im weiteren Verlauf ab Takt 6 setzt Debussy beim Thema des A-Teils den Achteltriolen in der Oberstimme Achtelnoten in der Unterstimme gegenüber, was rhythmisch einen schwebenden Eindruck hinterlässt. Dieser wird verstärkt durch die Unterschiedlichkeit der beiden Linien. Die der Oberstimme läuft unter ständiger Änderung der Bewegungsrichtung abwärts, bevor sie im zweiten Takt ihren Bewegungsimpuls verliert, dabei auf einer Synkope stehen bleibt und anschließend sanft ausläuft. Das Ornament in der Unterstimme verläuft dagegen eintaktig in einer auf- und wieder absteigenden Wellenform.

Notenbeispiel 4: Erste Arabesque: Thema des A-Teils
Erste Arabesque: Thema das A-Teils

5. Wie werden A-Teil und B-Teil miteinander verknüpft?

Das Thema des B-Teils zeigt deutlich eine Technik, die Debussy später meisterhaft anwandte. Er verknüpft den B-Teil fast unmerklich mit dem A-Teil, um einen inneren Zusammenhang zwischen beiden herzustellen. Dies geschieht einerseits dadurch, dass der A-Teil auf einem Einzelton e stehenbleibt, der in den B-Teil hinübergebunden wird und somit beide Teile verbindet.

Notenbeispiel 5: Erste Arabesque: Übergang zum B-Teil
Erste Arabesque: Übergang zum B-Teil

Es gibt aber noch einen viel wichtigeren inneren Zusammenhang, der auf den ersten Blick gar nicht auffällt, da beide Teile sehr unterschiedlich aussehen und den Arpeggien des Anfangsteils im Mittelteil ein akkordischer Satz gegenübersteht. Der Rhythmus des ersten Takts des Themas im B-Teil (Notenbeispiel 5, Takt 2) ist vom Rhythmus des Themas des zweiten Takts im A-Teil (Notenbeispiel 4, Takt 2) abgeleitet. Dies wird allerdings erst richtig deutlich, wenn man die Achtelnoten auf den unbetonten Schlägen weglässt (Notenbeispiele 6 u. 7).

Notenbeispiel 6: Erste Arabesque: Thema B-Teil, Beginn
Erste Arabesque: Thema B-Teil Beginn

Notenbeispiel 7: Erste Arabesque: Thema B-Teil, Beginn, bearbeitet
Erste Arabesque: Thema B-Teil, Beginn bearbeitet

Die Synkopierung auf Schlag 2, die neben der Triole das Charakeristikum dieses Rhythmus darstellt, ist nun rhythmische Grundlage des ganzen B-Teils und findet sich in fast jedem Takt dieses Teils wieder. Auch die Triolen, die nach acht Takten im B-Teil in einer wiederholten, über vier Takte hinweg aufsteigenden Welle das schlichte Thema des B-Teils unterbrechen, werden im Bass von dieser Synkopierung begleitet.

Eine weitere Reminiszenz an den Ursprung des Themas im A-Teil findet sich in der Tatsache, dass die Eingangstriolen auch im B-Teil von zwei geraden Achteln begleitet werden.

6. Wie ist die zweite Arabesque musikalisch gestaltet?

Die zweite Arabesque besitzt wie die erste Arabesque die Form ABA'. A: Takt 1-36, B: Takt 37-61, A': Takt 62-Ende. Im Teil A' findet sich ab Takt 90 ein Einschub mit dem motivischen Material des B-Teils, der in der Art eines barocken Fugato-Teils gestaltet ist. Im A-Teil lassen sich Andeutungen an die Sonatenform finden, etwa im Teil ab Takt 28, der wie eine Schlussgruppe in der klassischen Exposition klingt.

Bestimmt wird die zweite Arabesque wird von einem kurzen Motiv, das nur die Länge einer Viertelnote besitzt. Es besteht aus einer Sechzehnteltriole, einer Art Pralltriller, gefolgt von einer absteigenden Achtelnote. Beim ersten Auftreten ist das Intervall zwischen der Hauptnote der Triole und der folgenden Achtelnote eine Quinte. Dieses Intervall ist allerdings im weiteren Verlauf variabel.

Notenbeispiel 8: Zweite Arabesque: Hauptmotiv
Zweite Arabesque: Hauptmotiv

Wie bei einem Ornament wird nun dieser kleine Baustein in immer neuen Kombinationen zu einem größeren Ganzen zusammen gesetzt, zum Beispiel in Takt 1.

Notenbeispiel 9: Zweite Arabesque: Takt 1
Zweite Arabesque: Takt 1

Auch das Hauptthema der zweiten Arabesque besteht zu großen Teilen aus diesem Motiv. Debussy setzt es hier ganz klassisch zu einer viertaktigen Einheit zusammen:

Notenbeispiel 10: Zweite Arabesque: Hauptthema, Takt 5-8
Zweite Arabesque: Hauptthema T. 5-8

Im B-Teil ab Takt 37 nimmt Debussy eine für sein späteres Werk typische Schreibweise voraus: Das Komponieren in mehreren Schichten oder Ebenen, die gleichzeitig und unabhängig voneinander ablaufen. Meist sind dies drei Schichten, die man deutlich ab Takt 49 erkennen kann.

Notenbeispiel 11: Zweite Arabesque: B-Teil, Takt 49
Zweite Arabesque: B-Teil, Takt 49

Die Oberstimme hat die Melodie, die mittlere Schicht verläuft in einer Terzenbewegung in Viertelnoten und die unterste Schicht, die Bassstimme liegt auf einem Orgelpunkt, einer ganzen Note. Debussy ist allerdings bei der Notation nicht konsequent. Die erste Note im oberen System h müsste genau so wie das cis1 auf Schlag zwei auch nach unten gehalst sein, um deutlich zu machen, dass sie sowohl zur oberen, wie auch zur mittleren Schicht gehört.

Notenbeispiel 12: Zweite Arabesque: B-Teil, Takt 49
Zweite Arabesque: B-Teil, Takt 49

7. Wie verknüpft Debussy die beiden Arabesquen miteinander?

Auch auf die Zukunft weist eine andere Technik, die Debussy später in seinem Oeuvre häufiger verwendet, um unmerkliche Verbindungen innerhalb von Kompositionen oder zwischen einzelnen Sätzen eines Werks zu schaffen. Es ist die Verwendung von ganz ähnlichen oder sogar gleichen Rhythmen, hier gut zu sehen am Thema des kantablen Mittelteils (Teil B) beider Arabesquen. So schreibt sowohl in der ersten wie auch in der zweiten Arabesque im ersten Takt exakt den gleichen Rhythmus (vergleiche Notenbeispiel 6 und 11) und schafft so ein Band zwischen beiden Sätzen, das man beim Hören nicht bewusst wahrnimmt, das aber auf der unbewussten Eben dennoch zur Einheitlichkeit beiträgt.

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  © 2023 by Jochen Scheytt

Die deutschen Debussy-Seiten sind der umfangreichste Überblick über Debussys Leben und Schaffen in deutscher Sprache im Internet.

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.