Richard Harris: MacArthur Park

Epischer Kitsch oder genialer Wurf? Siebeneinhalb polarisierende Minuten aus der Feder von Jimmy Webb

Wer hat eigentlich diesen Kuchen im Regen stehen lassen, und warum ist das Rezept weg? Diese Fragen sind Jimmy Webb, dem Komponisten und Textdichter der epischen siebeneinhalb Minuten von MacArthur Park immer wieder gestellt worden. Glücklicherweise wurde Webb nie müde, die Geschichte, die zur Komposition und zu diesen merkwürdigen Textzeilen führte, zu erklären.

Die Entstehung von MacArthur Park fällt in das Jahr 1967, und somit in die Hochphase der psychedelischen Drogen, deren bewusstseinserweiternde Wirkung häufig in kreativ-fantasievollen Liedtexten ihren Ausdruck fand. So unterstellte man Jimmy Webb wie im selben Jahr den Beatles bei Lucy In The Sky With Diamonds die Einnahme dieser Substanzen, was von beiden allerdings mehr oder weniger heftig dementiert wurde. Während John Lennon seinen imaginativen und sprachgewaltigen Liedtext auf literarische Einflüsse wie Alice In Wonderland oder die Goon Show der BBC zurückführte, beruft sich Webb darauf, dass der Kuchen im MacArthur Park wirklich existierte und er ihn mit eigenen Augen gesehen habe. Dieser steht hier laut Webb als Metapher für die unwiederbringlich verlorene Liebe, die den Song in einem kreativen Verarbeitungsprozess überhaupt erst entstehen ließ.

Die Liebe hieß Susan (Suzy) Horton und arbeitete in einem an den MacArthur Park in Los Angeles angrenzenden Gebäude bei einer Lebensversicherungsgesellschaft. Jimmy Webb hatte einen Job bei einem Musikverleger und die beiden trafen sich in der Mittagspause im MacArthur Park, um Spazieren zu gehen, Paddelboot zu fahren und die Enten zu füttern. Als die Beziehung auseinander ging, verarbeitete Webb den Verlust in MacArthur Park.


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Dabei war der direkte Anlass zur Komposition von MacArthur Park gar nicht die zerbrochene Liebe. Es handelte sich um eine Art Auftragskomposition. Der damals 21-jährige Webb, der seit seinem Überraschungserfolg By The Time I Get To Phoenix als Songsschreiberwunderkind galt, und in der Szene in Los Angeles schon gut vernetzt war, hatte die Idee, einen aus mehreren verschiedenen Teilen bestehenden und an klassischen Vorbildern orientierten Popsong zu schreiben, vom Musikproduzenten 'Bones' Howe erhalten. Da der Versuch scheiterte, das fertige Werk bei der damals angesagten Popgruppe The Associations unterzubringen, landete MacArthur Park erst einmal in der Schublade.

Bei den Proben zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Los Angeles, wo Webb als Pianist gebucht war, lernte er den damals 37-jährigen und ziemlich trinkfesten irischen Schauspieler und Sänger Richard Harris kennen. Die beiden begannen hinter der Bühne zu musizieren und Harris gab sein umfangreiches irisches Liedrepertoire zum Besten. Dabei wuchs bei Harris die Gewissheit, mit dem jungen Webb Studioaufnahmen machen zu wollen, was er ihm dann auch gleich kundtat: "Let’s make a record, Jimmy Webb." (1) Eine Ankündigung, die er zu Jimmy Webbs Überraschung ein paar Wochen später per Telegramm tatsächlich wahr machte. So flog Webb im Jahr 1967 mit seinen Songs im Gepäck nach London.

Dort war Harris dann von Webbs Kompositionen nicht wirklich begeistert. Schließlich war nur noch ein Song übrig, den Webb ganz unten in der Tasche gelassen hatte. Harris war von MacArthur Park sofort eingenommen. Genau so sang er den Song dann auch ein, mit starkem persönlichen Ausdruck, viel Schmelz in der Stimme, mit etwas zu viel Pathos an manchen und ergreifend schön gestalteten Phrasen an anderen Stellen. Das Timbre war mehr das eines Musical- als eines Pop- oder Rocksängers, was aber zur orchestralen Anlage des Songs gut passte. Man spürt Harris' emotionale Verbundenheit mit MacArthur Park von der ersten bis zur letzten Sekunde des Songs.

Dass es ihm bei der ganzen überbordenden irischen Emotionalität herzlich egal war, dass der Park in Los Angeles nicht MacArthur's Park heißt und dass er sich nicht dazu bewegen ließ, dass Apostroph-s wegzulassen, so sehr sich Webb auch bemühte, muss man wohl Harris' Sturköpfigkeit zuschreiben. Dass Donna Summer bei ihrer Cover-Version die falsche Bezeichnung des Parks übernahm, gibt zu denken, darf aber wohl als Referenz und kleine Verbeugung an die Originalaufnahme verstanden werden.

Die wiederum polarisiert bis heute. Entweder man liebt ihn oder man hasst MacArthur Park. Dazwischen gibt es eigentlich nicht viel. Die negativen Kommentare reichen von "Schmalz für Spießer" oder "Kitsch", bis zu "groteskes Futter für Comedy" (2). MacArthur Park wurde des öfteren schon zum "worst song ever" gewählt, alternativ auch "worst lyrics ever." (3) Viele Kritiker bemängeln das in ihren Augen banale Bild des Kuchens im Regen, wie Emily Morenz: "See, rain is not good for cakes, [...] as a metaphor a green cake melting in the rain is just silly." (4)

Trotz aller Kritik war MacArthur Park kommerziell sehr erfolgreich und wurde für einen derart vielschichtig aufgebauten und mit siebeneinhalb Minuten ungewöhnlich langen Popsong oft und erfolgreich gecovert. Erwähnt seien hier die von allen instrumentalen Ecken und Kanten glatt geschliffene Country-Version von Waylon Jennings und den Kimberlys aus dem Jahr 1969, die soulig interpretierte Version der Four Tops von 1971 und natürlich Donna Summers famose Disco-Version von 1978, die Giorgio Moroder aus dem Hut zauberte.

Doch noch einmal zurück zur Originalkomposition. Diese besitzt insgesamt vier verschiedene Teile:

  • Der erste Teil enthält die Verse und den eigentlichen Refrain. Der Teil ist im Stil einer Popballade angelegt, besitzt aber immer wieder kurze, mit Taktwechseln verbundene orchestrale Einwürfe.
  • Der zweite Teil besitzt eine von vielen Tonwiederholungen geprägte, ruhig dahinfließende Melodie. Das Fehlen von Orchester-Fills und Taktwechseln, sowie länger gleich bleibende Harmonien lassen den zweiten Teil noch beruhigter wirken als den ersten Teil. Es folgt eine kurze instrumentale Wiederaufnahme des Beginns des ersten Teils.
  • Teil 3 ist ein rein instrumentaler Teil, der durch einen treibenden Groove in der Rhythmusgruppe, durch riff-artige Strukturen und rhythmisch akzentuierte, synkopische, von den Bläsern dominierte Orchesterschläge dominiert wird.
  • Teil 4 ist eine Reprise des Refrains des ersten Teils, allerdings orchestral und dynamisch auf einem sehr viel höheren Level und mit einem bombastischen Abschluss.

Auch wenn der Einbezug von klassischer Musik in die Rockmusik Ende der 1960er Jahre schon im Trend lag, kann Jimmy Webbs MacArthur Park aufgrund seiner zeitlichen Ausdehnung und seiner formalen Konzeption durchaus auch als Blaupause für weitere, ähnliche Kompositionen gesehen werden. George Martin, der Produzent der Beatles, habe ihm, so Webb, einmal gesagt, dass man Hey Jude nur deshalb auf über sieben Minuten ausgedehnt hätte, weil MacArthur Park ein erfolgreiches Vorbild gewesen wäre. (5) Andere Musiker nahmen sich die Verbindung von großem Orchester und Rockband und die Konzeption einer Reihung von unterschiedlich gestalteten instrumentalen und vokalen Formteilen als Vorbild. Hier ist als ein herausragendes Beispiel das Alan Parson's Project zu nennen, das auf seinen Konzeptalben der 1970er Jahre auf diese Weise Rockmusik mit sinfonischen Arrangements mischte. Alan Parson produzierte 1976 auch John Miles' Music, das mit dem Wechsel zwischen balladesken Gesangsabschnitten und rockigen Instrumentalparts inklusive einiger Taktwechsel und ungeraden Taktarten eine große Ähnlichkeit in der formalen Anlage zu MacArthur Park aufweist.

(1) Boucher, Geoff. ‘MacArthur Park’ Jimmy Webb | 1968. https://www.latimes.com/entertainment/la-ca-socal10jun10-story.html. Abgerufen am 10.8.2021.
(2) Patrin, Nate. Key Tracks: Donna Summer’s “MacArthur Park”. https://daily.redbullmusicacademy.com/2016/04/key-tracks-macarthur-park. Abgerufen am 12.8.2021.
(3) Morenz, Emily. 'MacArthur Park' And A Cake Out In The Rain: Worst. Lyrics. Ever? https://groovyhistory.com/macarthur-park. Abgerufen am 1.8.2021.
(4) ebda.
(5) Simpson, Dave. How we made MacArthur Park, Interview. https://www.theguardian.com/culture/2013/nov/11/how-we-made-macarthur-park. Abgerufen am 12.8.2021

Kontakt

  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.