The Verve: Bitter Sweet Symphony

Richard Ashcrofts größte Niederlage und das späte Happy End

Im April 2019 bekam Richard Ashcroft seinen Song zurück, fast 22 Jahre nach der Veröffentlichung. Auf Twitter verkündigte er glücklich die Nachricht, dass er von nun an wieder im Besitz der Songwriting Credits von Bitter Sweet Symphony sei. (1) Es ist eine späte Gerechtigkeit. Wobei man sagen muss, dass ein anderer in der Causa Bitter Sweet Symphony zu Unrecht total unterging und auch in den unzähligen Artikeln zum Rechtsstreit wenn überhaupt, dann nur am Rande erwähnt wird: Es ist der Arrangeur David Sinclair Whitaker, der 2012 starb.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1965, als der damalige Manager und Produzent der Rolling Stones, Andrew Loog Oldham mit dem Andrew Oldham Orchestra eine Schallplatte mit Coverversionen von Rolling-Stones-Titeln aufnahm. Das Andrew Oldham Orchestra war kein feststehendes Orchester, sondern bestand aus verschiedenen Sessionmusikern, die rein für die Studioaufnahmen einbestellt wurden. Und anders als der Name Andrew Oldham Orchestra suggeriert, war Loog Oldham kein Bandleader. Er war eigentlich nicht einmal Musiker. Ins Musikbusiness rutschte er durch einen Tipp eines Freundes, da wäre so eine R&B-Band, die einen Manager suchten. Die Rolling Stones und der gleich alte Loog Oldham fanden Gefallen aneinander, sie lagen auf einer Wellenlänge, und so wurde er angeheuert. Er übernahm auch gleich den Job als Produzent, obwohl er kaum Erfahrung auf diesem Gebiet hatte.

Irgendwie funktionierte es doch, und so nahm Loog Oldham bald ein neues Projekt in Angriff - das schon erwähnte Andrew Oldham Orchestra. Auf der Platte von 1966, die den Titel The Rolling Stones Songbook trug und instrumentale Versionen verschiedener Hits der Stones beinhaltete, fand sich auch eine eigentümliche Version von The Last Time.

Eigentümlich deshalb, weil beim oberflächlichen Hinhören gar keine Gemeinsamkeit zwischen dem originalen Stones-Song und der Orchesterversion zu erkennen ist. Dies liegt daran, dass der charakteristische Gitarrenriff und die Melodie vom The Last Time-Original fast komplett fehlen. Darüber hinaus wurde das Tempo so stark verlangsamt, dass die Akkordfolge des Originals, die dem Cover ebenfalls zu Grunde liegt, kaum noch erkennbar ist. Dafür verfängt sich im Ohr sofort eine neue, in langen Notenwerten gleichmäßig dahin fließende Streicherlinie, die von Röhrenglocken rhythmisch und melodisch ergänzt wird. Diese zweitaktige, nur wenige Sekunden dauernde Sequenz dominiert den Großteil der Coverversion. Für das ganze Orchester-Arrangement inklusive der Streicherlinie war der Arrangeur David Sinclair Whitaker verantwortlich, der die Stones-Songs für das The Rolling Stones Songbook für Loog Oldham arrangierte, also einrichtete.


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Doch zurück zu Andrew Loog Oldham. Dieser, ein gewiefter Geschäftsmann, handelte mit der Plattenfirma Decca den ersten Plattenvertrag für die Stones aus. Dabei installierte er zwischen den Stones und Decca eine eigene Firma, die die Rechte an den Mastertapes behielt, die in der Folge nur an Decca verliehen wurden. (2) Ab 1967 gab es mehr und mehr Probleme und Spannungen zwischen den Stones und Loog Oldham, so dass Loog Oldham seinen Job als Manager der Gruppe 1967 aufgeben musste und der Amerikaner Allen Klein übernahm, ein noch gewiefterer Geschäftsmann, der ab 1969 auch die Beatles managte und später noch eine unrühmliche Rolle im Plagiatsstreit über George Harrisons My Sweet Lord spielen sollte. Loog Oldham verkaufte seine Rechte an den Stones-Songs im Jahr darauf an Klein.

Dieser Wechsel an der Management-Spitze und der damit verbundene Übergang der Song-Rechte an Klein sollte sich 30 Jahre später für die britische Britpop-Band The Verve und ihren Kopf Richard Ashcroft als fatal erweisen. Denn mit Klein waren sie, was Kompromissbereitschaft oder Nachgiebigkeit angeht, definitiv an den Falschen geraten. Oder anders ausgedrückt, wenn jemand mit harten Bandagen kämpfte und dabei moralische Bedenken rücksichtslos über Bord warf, dann sicher Klein.

Denn The Verve benutzten 1997 für ihren Song Bitter Sweet Symphony diese charakteristische, kurze, gut vier Sekunden lange Streichersequenz aus der Andrew Oldham Orchestra Aufnahme von The Last Time, die sich mehr oder weniger durch den kompletten Song zieht und sich auch in der Gesangsmelodie wiederfindet. Man wusste bei Band und Management von The Verve, dass die Verwendung des Ausschnitts genehmigt werden musste und bat um eine Erlaubnis, die man auch erhielt. Doch dabei geschah der verhängnisvolle Fehler. Im offiziellen Statement zur Rückgabe der Songrechte 2019 heißt es: “Permission for the use of the recording was obtained but for whatever reason at the time permission for the use of the song was overlooked.” (3) In anderen Worten: Man hatte die Plattenfirma Decca um die Rechte an der Aufnahme gebeten und erhalten, aber vergessen, Allen Kleins Firma ABKCO zu kontaktieren, die die Rechte am Song selbst hielt.

Diese Steilvorlage ließ sich Klein natürlich nicht entgehen und meldete sich bei The Verve. Was im folgenden passierte, ist unklar und nicht genau nachzuvollziehen. Es scheint, als hätten sich Klein und das Management von The Verve zuerst auf eine 50/50-Teilung der Songrechte geeinigt (4). Doch als der Song veröffentlicht worden war, und absehbar war, dass er äußerst erfolgreich sein würde, meldete sich Klein wohl erneut. Anscheinend ging es darum, dass der verwendete Ausschnitt länger sei als vertraglich vereinbart, bzw. dass dieser den Song zu stark dominieren würde. Zu diesem Zeitpunkt waren schon große Mengen des Albums Urban Hymns produziert worden und man wollte sie nicht vernichten. Somit sah man wenig Chancen auf Erfolg und willigte ein, die die Urheberrechte an Bitter Sweet Symphony komplett an ABKCO abzugeben.

Somit gehörte der Song urheberrechtlich Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones. Und Klein und die beiden Stones-Musiker kassierten die Tantiemen und sämtliche Lizenzeinnahmen für die Weiterverwertung des Songs, gut 22 Jahre lang. Genaue Summen sind in diesem Metier nicht zu erfahren, aber da Bitter Sweet Symphony zum Welthit avancierte, dürften im Laufe von 22 Jahren sechs- bis siebenstellige Beträge zusammengekommen sein. Ashcroft sagt, dass er unter diesem finanziellen Verlust stark gelitten habe, aber der "emotional price" (5) ungleich höher gewesen sei.

Dass die Rechte jetzt zurückkamen ist einer Initiative von Ashcroft und seinem Management zu verdanken, die sich direkt an Mick Jagger und Keith Richards wandten, und sie baten, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Rückgabe einzusetzen. Eine Rolle spielt sicherlich auch, dass Allen Klein nicht mehr am Leben ist (er starb 2009), und ABKCO von seinem Sohn Jody geleitet wird. Auch ist davon auszugehen, dass gewisse Verwertungsrechte immer noch an ABKCO gehen.

Insgesamt gesehen ist der Fall eigentlich nicht nur kurios, sondern auch absurd, denn Jagger und Richards gaben selbst zu, den Refrain von The Last Time vom traditionellen Gospel-Song This might be the last time in der Aufnahme der Staple Singers adaptiert, um nicht zu sagen kopiert zu haben. Zusätzlich ist die Streicherlinie, um die sich der ganze Konflikt dreht, auch nicht im geringsten von Jagger und Richards komponiert worden, sondern ist das Werk von David Sinclair Whitaker. Doch dieser hätte, wenn er denn noch am Leben wäre, von der aktuellen Einigung auch nicht profitiert, denn Arrangeure erhalten keine Rechte für ihre Tätigkeit, sondern werden für ihre mehr als marginale Arbeit stets auf Stundenbasis oder pauschal entlohnt.

(1) Zitiert nach: Donoughue, Paul. The Verve's Richard Ashcroft gets royalties to Bitter Sweet Symphony after row with The Rolling Stones. Abgerufen am 2.9.2021.
(2) https://en.wikipedia.org/wiki/Andrew_Loog_Oldham
(3) Donoughue, Paul, a.a.O.
(4) Wortley, William. Rolling Over: Bitter Sweet Symphony copyright dispute between Jagger, Richards and Ashcroft finally resolved. Abgerufen am 2.9.2021.
(5) Donoughue, Paul, a.a.O.

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  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.