DÖF: Codo (...düse im Sauseschritt)

Der Neue-Deutsche-Welle-Weltraumsong aus dem Wiener Kaffehaus

Wie unfassbar viel Zeit vergangen ist, merkt man nicht nur an den Frisuren und Klamotten. Man realisiert es auch dann ganz vehement, wenn beim Auftritt von DÖF in der ZDF Hitparade am 25.7.1983 nach der Hälfte von Codo (...düse im Sauseschritt) plötzlich die Einblendung kommt: "DÖF, Postfach 12 56 07, 1000 Berlin 12". (1) Stimmt, es war die Zeit der vierstelligen Postleitzahlen, und die Zeit, in der man postalisch mit den Künstlern, beziehungsweise deren Management in Kontakt treten und auf eine Antwort in Form von Autogrammkarten oder ähnlichem warten konnte. Wie hätte man in Abwesenheit des Internet auch sonst mit den Künstlerinnen und Künstlern in Kontakt treten sollen?

Anfang der 1980er Jahre öffnete sich die bis dahin Schlagern vorbehaltene ZDF Hitparade auch für die Songs der Neuen Deutschen Welle und bot diesen damit eine deutschlandweite Fernsehpräsenz. Das war im Grunde eine kleine Revolution, war aber deswegen möglich, weil nach der anfänglichen frechen und provokanten Phase mit Bands wie DAF, Ideal, Fehlfarben oder Extrabreit die Songs und Interpreten angepasster wurden und viele Titel der Neuen Deutschen Welle inhaltlich nicht viel mehr waren als musikalisch neu verpackte, auf Elektronik getrimmte Schlager, die das Genre allerdings oft auch humorvoll interpretierten.

Hierzu zählt sicher auch Codo (...düse im Sauseschritt), ein doch recht kindlich-banales Weltraumliedchen über Liebe und Hass, das sich über 500.000 Mal im deutschsprachigen Raum verkaufen konnte und insgesamt 5 Wochen lang die deutsche Hitparade anführte. (2) Von diesem Erfolg wurden auch die drei Künstler von DÖF, Inga Humpe, Joesi Prokopetz und Manfred O. Tauchen, überrascht, denn Joesi Prokopetz war damals vor der Veröffentlichung der Meinung: "Das ist so ein dummes und kindisches Lied, das wird niemand wollen und niemand spielen". (3)


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Doch die Öffentlichkeit wollte dieses Lied und sang und sprach es lautstark mit und nach. Das lag sicher hauptsächlich am Refrain, der im Zusammenspiel mit dem vier Mal wiederholten "düse" und "Liebe" ausgeprägte Ohrwurm-Qualitäten besitzt. Codo besitzt darüber hinaus eine starke Ausstrahlung, die durch den reizvollen Kontrast von Inga Humpes betörendem, fast schon kosmisch überhöhten mehrstimmigen Gesang mit der tiefen, vom Klang und Duktus an den legendären Vincent Price erinnernden Stimme Manfred Tauchens als personifizierten Hass erzeugt wird. Inhaltlich war es sicherlich auch die simple, aber zeitlose Botschaft der Kraft der Liebe, die zum Erfolg beitrug. Und alle, denen das damals schon zu banal war, gefiel wahrscheinlich einfach das Augenzwinkern, der Humor und der Spaß, mit dem die drei Künstler von DÖF und die Produzentin Annette Humpe an die Sache herangegangen waren. Wer kann schon so herrlich schreien wie Joesi Prokopetz - zu hören auf Codo nach 20 Sekunden.

Entscheidend für den Erfolg war aber auch, dass DÖF mit ihrem Codo, was laut Joesi Prokopetz als Abkürzung für einen "Cosmischen Dolm" (4) zu verstehen war, auf der damals in der Popmusik verbreiteten Weltraum-Thematik mitritten und diese persiflierten. Ein Dolm ist im Übrigen österreichisch für einen Dummkopf, und neben diesem schwirrten damals noch so manch andere Gestalten durch den Popmusik-Orbit. Man denke da nur an David Bowies und anschließend Peter Schillings Major Tom, an den Fred vom Jupiter oder auch an den namenlosen Astronauten, der in Clouds across the Moon der RAH Band durch die ewigen Weiten schwebt und dessen vereinsamte Frau den Funkkontakt zu ihm verliert, worauf sie auf das nächste Jahr vertröstet wird.

Entstanden ist Codo in Wien. Ein gewisser, als Wiener Szene-Freak benannter Georg Januszewski soll einst in einem Wiener Kaffeehaus in nicht ganz nüchternem Zustand überzeugt gewesen sein, der Außerirdische Codo zu sein und die später verwendete Hookline "Und ich düse, düse, düse im Sauseschritt" gesungen haben, was ihm dann später bei Codo einen Urheberrechtseintrag als Texter einbrachte. Zu welcher Melodie er diese Zeile sang, ist nicht überliefert, die später verwendete kann es aber nicht gewesen sein.

Die beiden Wiener Kabarettisten Manfred O. Tauchen und Joesi Prokopetz nahmen diese Vorlage auf und entwickelten das Rohgerüst des Songs. Sie spielten ein Demoband ihres Codo-Songs ein, benötigten aber für das künstlerische Endprodukt von Codo Unterstützung. Hierfür sorgte Annette Humpe, damals Musikerin in der Berliner Band Ideal und später im Leben Produzentin vieler namhafter Musikerinnen und Musiker. Wie die drei zusammenfanden, ist nicht ganz klar. Laut Prokopetz (5) war es der Produzent Markus Spiegel, der den Kontakt herstellte und Annette Humpe aus Berlin einfliegen ließ, nachdem die Idee mit Codo aufgeploppt war. Anscheinend war aber schon ein Jahr zuvor ein erster Kontakt zwischen Humpe und den beiden Österreichern zustande gekommen, als Ideal 1982 in Wien ihr Album Bi Nuu aufnahmen. Da man noch eine Sängerin benötigte, ließ Annette Humpe ihre Schwester Inga den Gesangspart einsingen, die damit das Trio DÖF komplettierte.

Der Name ist eine Anspielung auf die Düsseldorfer Band DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft), die zu den Pionieren der elektronischen Musik zählte. Um den Bandnamen "nicht zu kopieren" (6), nannte man sich nicht Deutsch-Österreichische Freundschaft, sondern ersetzte die Freundschaft durch Feingefühl. Womit wir beim Thema kopieren wären.

Szenenwechsel. Am 21. April 1983 war der ostdeutsche Liedermacher Holger Biege mit einem Tagesvisum zu einem Konzert nach West-Berlin gefahren. Er kehrte nicht in die DDR zurück. Die Staatsführung hatte begonnen, den kritischen Musiker immer mehr zu kontrollieren und zu schikanieren, so dass der Gedanke an ein freies Leben im Westen nicht mehr länger zu unterdrücken war. Biege ließ sich in Hamburg nieder und konnte dort seine Frau und seinen Sohn in die Arme schließen, die am 26. Oktober endlich aus der DDR ausreisen durften. Doch Biege hatte sich sein Künstlerdasein in West-Deutschland anders vorgestellt.

"Unser Leben hier nun im Westen war freier, und der aufrechte Gang fällt nicht schwer, wenn man ihn will. Aber kaum hatte man sich befreit von den Umarmungs- und Vereinnahmungsversuchen eines autoritären Staates, seinen Intrigen, Gemeinheiten und Drohungen, begann der Druck des Kommerzes hier. Willst du ein Publikum finden für deine Musik, unterstehst du dem Diktat des Marktes, oder besser gesagt, der Leute, die den Markt bestimmen." (7)

Biege hatte in der DDR nicht nur selbst als Liedermacher und Popinterpret reüssiert, sondern auch für seinen Bruder Gerd-Christian Lieder geschrieben. Eins davon war der Titel Küss mich und lieb mich, den sein Bruder unter seinem Künstlernamen Gerd Christian 1979 veröffentlichte. Als Holger Biege Codo zum ersten Mal hörte, erkannte er seine Schlagerkomposition sofort wieder. Es ist der Refrain von Codo, der melodisch unverkennbar eine Übernahme des Refrains von Küss mich und lieb mich darstellt, wenn auch in einem komplett neuen musikalischen Arrangement.

Es folgte der Prozess wegen Urheberrechtsverletzung, dessen Quellenlage im Internet sehr dürftig ist. Unstrittig ist, dass Biege den Prozess in erster Instanz gewann. Doch die Gegenseite ging in Berufung, worauf in zweiter Instanz ein Vergleich vorgeschlagen wurde. Bieges Frau Cornelia äußert sich in Wolfgang Martins Biege-Biographie so, dass Biege diesen Vergleich ablehnte, obwohl ihm sein Anwalt dazu geraten hatte, da er sich völlig im Recht fühlte. In dritter Instanz hätte er vor den Bundesgerichtshof ziehen müssen, wofür er in Vorleistung gehen hätte müssen. So verzichtete er darauf. (8)

So bleibt vieles unklar. Zum einen wäre da die Frage, warum Biege in zweiter Instanz nicht recht bekam, sondern ein Vergleich vorgeschlagen wurde. Denn wenn man die beiden Songs vergleicht, ist die Übernahme so offensichtlich, dass es eigentlich keine zwei Meinungen geben kann. Auch wie der Vergleich ausgesehen hätte, ist nicht zu erfahren, genauso wenig, wie denn das Urteil in zweiter Instanz dann lautete. Dabei waren Bieges Gutachten in eigener Sache so gut gewesen, dass er Angebote bekam, dies beruflich zu machen, was er für kurze Zeit dann auch tat.

Von der Gegenseite erfährt man hierzu quasi nichts. Nur dass Annette Humpe anscheinend gesagt haben soll, dass sie die Melodie bewusst kopiert hätte, da die Ossis gegen solche Plagiate nicht hätten machen können. (9) Schließlich äußert sich Joesi Prokopetz, dass es zwei (sic!) Urheberrechtsprozesse wegen Codo gegeben hätte, die sie beide gewonnen hätten. (10) Worum es sich hier genau gehandelt haben soll, bleibt er leider auch schuldig.

So ist es fast ironisch, dass DÖF selbst noch kopiert wurden. Das Buffy Theme, Titelmusik zur US-amerikanischen ab 1997 ausgestrahlten Serie Buffy, the Vampire Slayer , die im deutschen Fernsehen auf Pro Sieben unter dem Titel Buffy - Im Bann der Dämonen lief, ist eine Eins-zu-Eins-Kopie der auf "uh" gesungenen Melodieline von Codo, die im Original zuerst nach 50 Sekunden auftritt und mehrfach vorkommt. Es stimmen sowohl Melodie und Akkordfolge zwischen Original und Kopie überein und das Buffy Theme besteht fast nur aus dieser einen Melodie.

Hier ist allerdings kein Plagiats-Prozess bekannt. Möglicherweise weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass die drei Musiker der US-amerikanischen Band Nerf Herder - Steve Sherlock, Charles Dennis und Parry Gripp - Codo kannten. Eine Kenntnis des Originals ist aber Voraussetzung für ein Plagiat, andernfalls handelt es sich im juristischen Sinne um eine Doppelschöpfung. Das wäre zwar ein großer Zufall, aber bei einer nur aus 8 Tönen bestehenden Melodie wäre es theoretisch möglich. Steve Sherlock von Nerf Herder bestritt auf jeden Fall im Jahr 2006, jemals etwas von DÖF und Codo gehört zu haben: "That video [Codo] is awesome!!! Thanks for the link. I'll have to say that melody similarity is purely coincidental...seeing that I'd never heard of Döf until now. But I'm an instant fan, because they rule!" (11)

(1) DÖF: Codo in der ZDF Hitparade vom 25.07.1983. https://www.youtube.com/watch?v=HaPAqh37NTk. Abgerufen am 27.3.2024
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Codo_…_düse_im_Sauseschritt. Abgerufen am 27.3.2024.
(3) Reder, Christian. Joesi Prokopetz (DÖF) - "Codo war im gesamten Programm nur ein Ausrutscher...". Interview vom 29.5.2007. https://www.deutsche-mugge.de/interviews/2007/317-joesi-prokopetz-doef.html. Abgerufen am 23.3.2024.
(4) Reder, Christian. Der 40. Geburtstag von CODO oder: Holger Bieges heimlicher Nr. 1 Hit. https://www.deutsche-mugge.de/zeitzeuge/9218-der-40-geburtstag-von-codo-doef.html Abgerufen am 27.3.2024.
(5) Reder, Christian. Joesi Prokopetz (DÖF) - "Codo war im gesamten Programm nur ein Ausrutscher...". Ebda.
(6) Ebda.
(7) Super Illu Redaktion, 21.03.2019. Legenden des Ostens: Holger Biege. https://www.superillu.de/thema/legenden-des-ostens/holger-biege. Abgerufen am 24.3.2024.
(8) Martin, Wolfgang. Sagte mal ein Dichter: Holger Biege. Die Biographie. Bild und Heimat, 2019. (9) Zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Codo_…_düse_im_Sauseschritt. Abgerufen am 24.3.2024. Hier wird auf Wolfgang Martins Biographie als Quelle verwiesen.
(10) Reder, Christian. Joesi Prokopetz (DÖF) - "Codo war im gesamten Programm nur ein Ausrutscher...". Ebda.
(11) https://web.archive.org/web/20110610223624/http://whedonesque.com/comments/11527. Abgerufen am 27.3.2024.

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  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.