Die Stimme

"Stimmartist", "Stimmkünstler", "the voice", "the amazing acrobat of scat", "human synthesizer" - das sind nur einige der Namen, die Al Jarreau in den letzten Jahren gegeben wurden. Sie alle sind Ausdruck der Faszination, die von ihm und vor allem von seiner Stimme ausgeht. Diese Faszination allerdings in Worte zu fassen, ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Es würde Seiten füllen, wollte man die ganze stimmliche Palette mit all den Geräuschen, Zischlauten, den verschiedenen Klangfarben, die er seiner Stimme zu geben vermag, den Temperamentsausbrüchen, dem Spiel mit Text, Rhythmus und Melodie beschreiben. Und selbst dann wäre diese Darstellung nur ein notdürftiger Ersatz für einen Höreindruck. Man muß Al Jarreau einfach gehört haben.

Einen recht gelungenen Versuch, sich über Al Jarreaus Stimmartistik schriftlich zu äußern, machte 1977 Joachim Ernst Berendt:

"Jarreau - singend, gurgelnd, mit der Zunge schnalzend, stöhnend, schreiend, flatternd, flüsternd, seufzend, knatternd - verfügt über ein Arsenal stimmlicher Möglichkeiten, das mit dem keines anderen männlichen Sängers vergleichbar ist..... Jarreau ist ein Instrumentalist der Stimme, seine Musik kommt von instrumentalen Phrasen her. Seine Kehle bringt wirklich ein ganzes Orchester hervor: Schlagzeuge und Saxophone, Trompeten und Flöten, Congas und Bässe - aber das alles aus dem Mund eines einzigen Mannes, vom tiefsten Baß zum höchsten Flageolett, als ob dieser Mann über ein Dutzend oder mehr verschiedener männlicher oder weiblicher Stimmen verfüge. Am frappantesten ist Al Jarreaus Flötenstimme...." (1)


Jochen Scheytt: Al Jarreau - Studien seiner Entwicklung vom Jazz- zum Popinterpreten

Eine wissenschaftliche Arbeit zu Al Jarreau. Mit Analysen zur vokalen Improvisation und der Harmonik einiger ausgewählter Songs. Grin Verlag, 2008.

Der amerikanische Kritiker Lee Underwood schreibt 1976 (hier in deutscher Übersetzung):

"Seine melodischen, vokalen Improvisationen sind oftmals so schnell, schwierig und in die Höhe steigend wie die eines Saxophons. Mit einer persönlichen, nicht beschreibbaren Palette von Flötenklängen, Zuggeräuschen, Vogelstimmen, geflüsterten, gekreischten oder leidenschaftlichen Tönen ausgestattet, hat Al Jarreau die Kunst des Scatgesangs sozusagen neu erfunden." (2)

Seine Flötenstimme ist in der Tat beeindruckend. Sie ist am besten bei der Einleitung des Titels "Lock all the Gates" vom Album "We Got By", bei "Glow" von der gleichnamigen CD, bei oder bei "Alonzo" von "This Time" zu bewundern . Ein gutes Beispiel für die Imitation von Congas ist seine Aufnahme des Dave Brubeck-Klassikers "Take five", die auf "Look to the Rainbow" zu finden ist.

(1) Joachim-Ernst Berendt, Das Ritual aus der Kehle, in: Jazz Forum Nr. 49, 5/1977, S. 35
(2) Lee Underwood, Al Jarreau, in: down beat Vol. 43/16, 10/1976, S. 37. Im Original: "His melodic vocal improvisations are often as fast, as difficult, and as soaring as those of a saxophone. Incorporating a personal, non-referential array of flute sounds, train sounds, whispers, squeaks, bird-calls and passion-cries, Jarreau has virtually re-invented the art of scat-singing."

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Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.